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Die schönsten deutschen
Heimatsagen
Der Bäcker zu Dortmund
Vor vielen, vielen Jahren hat zu Dortmund ein reicher Bäcker gelebt,
der hat zwar keinen Gottesdienst versäumt und ist in der Kirche immer
der Andächtigste gewesen, allein dabei blieb sein Herz doch hart wie
Stein. Er hatte durch Wucher und Kornaufkaufen eine große Menge Geld
zusammengebracht, das er in vielen großen Säcken in seinem Keller
verborgen hatte. Armen hat er aber nie mehr gegeben als höchstens
ein Stückchen halbverschimmeltes Brot und seine einzige Schwester,
die Witwe eines armen, aber braven Leinewebers hat er sammt ihren Kindern
hungern und darben lassen und mit großen Worten, als sie ihn nach
dem Tode ihres Mannes um eine Unterstützung bat, von seiner Türe
gewiesen.
Da ist einmal eine schlimme Pest und nach ihr eine große Teuerung
in ganz Westfalen entstanden, so daß die Armen das Korn nicht mehr
bezahlen konnten und das ganze Land voller Bettelleute war. Bei dem Bäcker
aber war keine Not. Er buck sein Brot immer kleiner und ließ es sich
immer teurer bezahlen und seine Scheuern und Böden waren voll Getreide
bis zum Hahneballen hinauf, aber er verkaufte es darum doch nicht, sondern
hoffte, daß bis zum Winter die Kornpreise um das Doppelte steigen
würden.
Da lag er einst um die Mittagszeit auf seinem Bett, um von der Morgenarbeit
etwas auszuruhen, als langsam an die Türe geklopft wurde. Er rief
herein und siehe, vor ihm in Lumpen gehüllt stand eine elende magere
Frau und bat um eine Gabe. Es war seine Schwester, die er aber nicht erkannte,
so hatte sie sich in den letzten Jahren verändert. Da er nun glaubte,
es sei ein gewöhnliches Bettelweib, so hetzte er in Wut über
diese Störung seiner Mittagsruhe seinen großen Hund auf sie,
der unter dem Bett lag. Die Frau
aber rief ihn nun mit flehender Stimme bei seinem 'Taufnamen und bat
ihn, er möge sie, die an der Pest alle ihre Kinder verloren habe,
doch nicht von sich stoßen, sondern ihr eine Ruhestätte in seinem
Hause gönnen und sie vor dem Hungertode schützen. Da erwiderte
der böse Bruder mürrisch: "Gut denn, ein Plätzchen in meinem
Hause sollst du haben, ich weiß aber nicht, ob es nach deinem Geschmacke
sein wird, und Nahrung sollst du auch haben!" Damit führte er sie
auf den Hof und wies auf eine große leerstehende Hundehütte,
zog ein Stück Weizenbrot aus der Tasche und reichte es ihr. Die arme
Verhungerte griff gierig danach und biß hinein, aber das Brot war
so hart, daß die Zähne eines großen Hundes dazu gehörten,
um es zu zermalmen. Nach wenigen Augenblicken gab sie es auf und stürzte
vor Schwäche zu Boden. Aber ihr harter Bruder ließ sie unbekümmert
liegen und wahrscheinlich wäre sie auf dem F'leck gestorben, hätte
sich nicht eine alte Magd ihrer angenommen und hätte sie durch Einflößen
einiger Tropfen kräftigen Bieres wieder zu sich gebracht. Diese steckte
ihr auch einige Bissen genießbaren Brotes zu und so gewann die arme
Frau wieder so viel Kräfte, um zu ihrer Hütte zurückschleichen
zu kön-nen. Hier sank sie auf ihr elendes Strohlager und betete zu
Gott, er möge sie doch von ihren Leiden erlösen. Und Gott erhörte
sie, denn sie schloß ihre Augen, um nie wieder aufzuwachen.
Am andern Tage ist aber in der Stadt Dortmund ein gefährlicher
Aufruhr~ ausgebrochen, der die Reichen und Begüterten in der Stadt
bedrohte. Das Volk litt große Not und begann deshalb die Häuser
derer zu stürmen und zu plündern, die immer noch im Überfluß
schwelgten. Auch auf des reichen Bäckers Haus stürmten die Armen
los, man drohte es zu plündern und ihn selbst totzuschlagen. Der Bäcker
hatte bei dem ersten Aufruhrgeschrei sogleich Türen und Fenster verrammelt,
er selbst aber flüchtete sich in den festen Keller seines Hauses,
wo seine Schätze lagen und der ihm einige Sicherheit gewähren
konnte, da er nicht gleich zu finden war. Einen Sack kleiner Brote und
einen großen Krug voll Wasser nahm er in aller Eile mit sich. Er
hoffte auf diese Weise ohne Mangel zu leiden, mehrere Tage ausharren. zu
können, bis die Ruhe wieder hergestellt wäre. Kaum hatte er die
eiserne, mit schweren Riegeln versehene Türe hinter sich geschlossen,
hörte er, wie das Volk die Türe seines Hauses sprengte, hineinströmte,
sich darin zerstreute und alles zusammenschlug. Er hatte sich auf seine
Geldsäcke ge-setzt und wartete so von Stunde zu Stunde, bis es wieder
ruhig werden wollte.
Die Angst ließ ihn den Hunger vergessen; als aber der Morgen
anbrach, da verlangte die Natur ihr Recht, hungrig griff er in den Sack,
worin die Brote waren, zog eins heraus und wollte hineinbeißen. Aber
wehe! es war durch ein Wunder zu Stein geworden und große Blutstropfen
hingen wie Schweißperlen daran. Schaudernd warf er es von sich und
ergriff ein zweites Brot, allein auch dieses war verwandelt wie das erste.
Er versuchte es mit einem dritten und vierten, immer dasselbe, sie waren
alle zu Stein geworden. Da ließ er den Sack fallen und nahm den Wasserkrug
zur Hand, er wollte wenigstens seinen Durst löschen. Entsetzlich!
das Wasser war zu Blut geworden. Da fielen ihm alle seine Sünden ein,
die er sein Lebtage gegen andere Menschen begangen, er fiel auf die Kniee
und betete und versprach, er wolle bereuen und für die kommenden Tage
ein besserer Mensch werden, ein Wohltäter und Vater der Armen sein.
Als er aber nach beendigtem Gebete wieder in den Sack griff und abermals
dieselben schrecklichen Wunderzeichen fand, da ergriff ihn schwere Verzweiflung,
er wollte seinem Leben selbst ein Ende machen und seinen Kopf an den harten
Steinwänden des Kellers zerschmettern, aber auch diese Wohltat wurde
ihm nicht zu Teil. Nach dem dritten Versuch stürzte er be-täubt
zu Boden. Viele Stunden lag er so; endlich erwachte er wieder. So begannen
abermals Hunger und Durst ihn aufs Grimmigste zu plagen, aber den Keller
wagte er nicht zu verlassen, denn im Hause hörte er das Geschrei des
wütenden Pöbels, welcher sein Leben wollte. Inmitten seiner Geldsäcke
gab er am Abend des andern Tages elendiglich seinen Geist unter großen
Qualen auf.
Als nach einigen Tagen die Ruhe wieder hergestellt war, wollte die
Magd dem Bäcker die gute Nachricht bringen. Als sie aus seinem Versteck
im Keller keine Antwort hörte, ließ sie die schwere Tür
mit Gewalt aufbrechen. Man fand den Geizhals mit entstellten Zügen
auf seinen Geldsäcken liegen. Das Brot aber war hart wie Stein und
voll Blutstropfen, der Wasserkrug mit Blut gefüllt. Der Reichtum des
geizigen Bäckers fiel, da er keine Erben hatte, an die Stadtkasse.
Der Bäcker von Dortmund
Herr Jürg, der Bäcker, war wohlbekannt -
-Der Reichste weit im Westfalenland;
Und reicher ward er noch alle Tage:
Hart war sein Herz und falsch seine Waage.
Rings herrscht des Hungers bittere Noth, -
Ihm schwillt im Kasten das Gold so roth.
Sein Haus umlagern die siechende Armen:
-„So mag sich euer der Tod erbarmen!" -
Und bettelnd ihm vor der Thüre saß
Die Mutter sein, die er längst vergaß;
Da langt er ein Brot hervor aus dem Schreine,
Hart und verdorrt, als wär' es von Steine.
Sie netzt es mit Thränen, sie weint es weich,
Sie sinkt zur Erde todesbleich
Und stöhnt: "Daß einst der Himmel dich labe,
Wenn es dich hungert, mit gleicher Gabe!" --
Sie ist gestorben vor seinem Haus.
Er trägt sie ohne Thränen hinaus
Und murmelt: "So mag sich all der Armen,
Gleich ihr, der freundliche Tod erbarmen!" --
Und geht und öffnet den strotzenden Schrein,
Und will sich laben an Brot und Wein:
Da bricht das Messer - das Brot ward zu Steine,
Blut schäumt im Becher mit düsterem Scheine!
Er greift zum zweiten, zum dritten Brot,
Sticht an viel Fässer, so weiß als roth;
-In Händen wird ihm das Brot zu Steine,
Zu Blut im Fasse die köstlichen Weine!
Das trotzige Herz zu beben begann, --
Zu allen Heiligen fleht der Mann!
Unlösbar haftet des Fluches Zeichen:
Das steinerne Brot will nimmer erweichen!
Da faßt den Bäcker Entsetzen und Graus
Im öden, gottverworfenen Haus;
Da ruft er den Tod: wie einst der Armen
Soll er sich freundlich seiner erbarmen!
Der Tod bleibt aus; ihn rühren nicht
Gebete, die der Verdammte spricht.
Da kommt ein Anderer ungerufen
Heraufgetappt die knarrenden Stufen.
Er kommt mit den Seinen zur halben Nacht:
"Hei, Bäcker, hast's nicht so bald gedacht?
Die Uhr schlägt zwölf, - wir dürfen nicht weilen,
Die Zeit ist um! Es rufen die Eulen!"
J. Seiler
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