|
Die schönsten deutschen
Heimatsagen
Der Zwerg von Volkringhausen
und das Hirtenmädchen
Zwischen Binolen und Volkringhausen liegt eine Höhle. Dort wohnte
vorzeiten ein Zwerg, dem ein Hirtenkind aus Volk-ringhausen gar wohl gefiel.
- Das Mädchen fand einst am Berggehänge ein zierliches Hämmerchen.
Da es glaubte, das müsse einem Zwerge gehören, legte es das Werkzeug
in den Eingang der Höhle. Als das Mädchen sich umdrehte, stand
plötzlich der Zwerg vor ihm, der es aus dem Gebüsche still beobachtet
hatte. Er bedankte sich bei der ehrlichen Finderin und schenkte ihr ein
Paar Schuhe mit silbernen Spangen. Das Mägdlein war so überrascht,
daß es ganz vergaß, dem Männlein zu danken. Und als es
sich darauf besann, war der Zwerg verschwunden.
Da wand es einen Strauß von Immergrün, von Engelsüß
und Tausendschön, legte ihn vor der Höhle nieder und trieb dann
die Herde heim.
Am anderen Morgen, als die Hirtin oben auf dem Felsen saß, wo
sie ihre Herde am besten überschauen konnte und wo sie gern ihre frohen
Lieder sang, stand, wie aus Wolken gefallen, wieder das Zwerglein vor ihr.
Es reichte ihr einen silbernen Halsreifen und sprach: "Du bist ein gutes
Kind. Bringe mir in jedem Sommer einen Strauß, wie du es gestern
getan, und ich will es dir lohnen. Den frischen Blumenstrauß aber
lege unter den Rosendorn, der dort am Felsen steht."
Das Hirtenkind erfüllte nun alljährlich den bescheidenen
Wunsch des Zwerges, pflückte Immergrün und Engelsüß
am Felsenhang und Tausehdschön im Tale, trug auch den Strauß
zur rechten Stelle hin und erhielt allemal reichen Lohn.
Nach sieben Jahren aber, als das Mädchen zur blühenden Jungfrau
herangewachsen war, bat sie den Zwerg mit vielem Ungestüm, er möge
sie einmal in das Reich der Zwerge führen und ihr zeigen, wo seine
Wohnung sei. Das bekümmerte den guten Zwerg gar sehr, und er warnte
sie eindringlich und sprach: "Kind, laß ab von deinem Begehren, oder
es wird dein Unglück sein!"
Sie aber bestand auf ihrem Willen, denn die Schätze hatten ihr
das Herz betört. Da nahm der Zwerg ein Eibenreis, steckte es ihr ins
Haar, daß sie die Heimat nicht vergäße, hauchte ihr auch
auf die Augen, damit ihr das unterirdische Licht nicht schade, und ging
dann voran in den Berg. Das Mädchen schaute sich noch einmal um, ließ
ihre Herde im Tale und folgte ihm.
Als die Hirtin durch eine Pforte von leuchtendem Bergkristall geschritten
war, stand sie ganz im Zauber der Unterwelt. Ihre Sinne waren verwirrt
von all der Pracht und Herrlichkeit. Sprachlos folgte sie ihrem Führer
und wanderte weiter und immer weiter. Und sie sah auch den König der
Zwerge in Gold und Purpur auf dem Throne sitzen. Wie sie zuletzt an einen
kleinen See kam, in welchem sich tausend farbige Lichter widerspiegelten,
erblickte sie im Wasser ihr eigenes Bild. Und als sie das Eibenreis im
Haar sah, gedachte sie der Mutter daheim und der trauten Gespielinnen und
der Wiese im Tal. Und sie wünschte sich fort aus der Unterwelt, damit
sie wieder unter Menschen wäre.
Und sie wurde zurückgeführt und sah bald wieder das Sonnenlicht
und stand an der Berglehne, dort, wo sonst der Rosen-dorn grünte.
Aber der Dorn stand nicht mehr am Felsen, und die Bäumchen, die sonst
am Berge wuchsen, waren in haushohe Stämme mit ausgedehnten Kronen
verwandelt, und von der Herde war kein einziges Tier mehr zu finden.
Da stand das Hirtenkind wie im Traume und glaubte, es befinde sich
an fremdem Ort. Es eilte in das Tal und suchte seiner Mutter Haus. Das
Heimatdorf lag im stillen Frieden der Abendsonne, aber an der Stelle, wo
sonst dxe Mutter wohnte, fand sich zerfallenes Gemäuer, und Brombeerranken
legten sich darüber. Nur der alte Birnbaum mit der breiten Bank aus
Stein war unverändert. Wie das Mädchen nun auf der Bank saß,
die Hände rang und klagte, kamen die Nachbarn herbei und fragten,
was sein Begehren sei; denn sie war allen fremd und unbekannt.
Als sie aber ihren Namen nannte und erzählte, sie sei am Morgen
in den Berg gestiegen, und nun nach wenigen Stunden habe sich alles so
verändert, trat eine alte Frau hervor, schloß das Mädchen
unter Tränen in die Arme und sprach: "Kind, Kind, was ist mit dir
geschehen? Vor vielen Jahren bist du verschwunden, und alles Suchen war
umsonst. - Deine Mutter ist gestorben, und als nach Jahren euer Haus in
Rauch und Flammen aufging, sind Bruder und Schwester in die weite Welt
gezogen, und keiner weiß wohin." Da wollte dem Mägdlein die
Brust zerspringen, und es starb vor Herzeleid.
|