Das Figureninventar der Fabel



Die Anzahl der Akteure

Zum Figureninventar der Fabel gehören neben Pflanzen und unbelebten Gegenständen vor allem die Tiere. Die Zahl der in der Fabeldichtung vorkommenden Tiere ist nicht sehr groß. Als typische und häufig auftretende Fabeltiere finden sich der Löwe, der Fuchs,  der Wolf,  der Esel, der Hase und der Rabe. Schon seltener erscheint das Lamm, die Maus, der
Frosch, der Igel, der Ochse oder die Schlange.  In der Regel finden sich in der Fabel Tiere aus der unmittelbaren Umgebung des Menschen, also solche, die dem Menschen aus ihrer typischen natürlichen Eigenart vertraut sind. 

Zumeist stehen sich in der Fabel zwei einzelne Tiere gegenüber; seltener zwei Gruppen oder ein Tier und eine Gruppe. Bei den meisten Fabelmotiven reichen zwei Figuren aus, um die Aussageabsicht der Fabel klar herauszustellen. Treten dennoch mehrere Tiere auf, werden Gruppen gebildet, so dass sich doch wieder nur zwei Parteien gegenüberstehen. So agieren in Aesops Fabel von Maus und Frosch zunächst nur Maus und Frosch allein.  Sobald der Habicht in das Geschehen eingreift, werden die beiden Kontrahenten zur Einheit, indem sie aneinandergebunden das gleiche Schicksal  erleiden.
 

Die Typisierung der Fabeltiere

Zu dem relativ kleinen Sortiment an Fabeltieren und der geringstmöglichen Zahl an handelnden Tieren innerhalb einer Fabel  kommt als weiteres Merkmal die typische Gestaltung der Fabeltiere hinzu. Dabei kann es sein,  dass das typische Ansehen (der „Ruf") eines Tieres in der Meinung des Volkes bereits vorgeprägt war, bevor es als Vertreter einer bestimmten Eigenart oder Gesinnung in der Fabel verwendung fand. Daneben ist aber  auch denkbar, dass eine bestimmte Vorstellung von der Art eines Tieres erst durch die Fabel selbst geprägt worden ist, indem es im Laufe der Geschichte der Fabel stets durch die gleichen markanten Eigenschaften geprägt wurde. 
 So ist der Fuchs uns in seinem Verhalten deshalb so vertraut, weil er in jeder Fabel einen für ihn typischen Charakter hat und weil dieser von den Dichtern stets hervorgehoben wird. Nur dadurch, dass der Fuchs in jeder Fabel als der Schlaue erscheint, bleibt sein Bild erhalten. Entsprechendes gilt z. B. für den Esel, der das Törichte, Naive und Sture verkörpert und für das Lamm als Zeichen der Unschuld  und Wehrlosigkeit. 

Durch diese stets wiederkehrende typische Gestaltung der Fabeltiere gewinnt die Fabel ihren festen Bestand an Figuren.
Treffen in einer Fabel z. B. der gefräßige Wolf und der dumme Esel zusammen,  dann weist diese Figurenkonstellation schon auf die Art der Handlung hin. 

Zu diesen typisierten Fabeltieren treten aber auch noch solche Tiere hinzu, die nicht auf bestimmte Eigenschaften fixiert sind. In Fabeln, in denen untypisierte Tiere agieren,  gewinnen Handlung, Situation oder Umstände eine entscheidende Bedeutung, während andere Fabeln schon allein durch das Zusammentreffen bestimmter Typen geprägt werden, wobei besondere Umstände dann eine deutlich geringere Bedeutung haben können. 

Die typischen Eigenschaften, die den Tieren in der Fabeldichtung zugeschrieben werden, findet man auch in Sprichwörtern, Redensarten und in der Heraldik wieder.   Mit den biologischen Eigenarten der Tiere brauchen sie jedoch nicht übereinstimmen, denn die Fabeltiere sind gedankliche Schöpfungen des Menschen, und die Eigenschaften werden den Tieren vom Menschen zugeschrieben.   Durch die Übertragung menschlicher Eigenschaften auf die Fabeltiere (Personifizierung) werden diese in den  menschlichen Bereich integriert. Sie sind in diesem Sinne keine Tiere mehr, sondern stehen stellvertretend für einen bestimmten Menschentyp. 
 

Die Vermenschlichung der Fabelfiguren

In der Fabel sprechen und handeln die Tiere wie Menschen. Erst durch die völlige Gleichschaltung des Tieres und des Menschen können die Tiere ihre Aufgabe in der Fabel erfüllen:  Sie werden zur Person, d. h. zu einem Wesen, dass  Verantwortung für sein Handeln trägt,  das schuldig wird und dafür büßen muss  oder unschuldig ein ungerechtes Schicksal  erleidet.  Die Anthropomorphisierung (Vermenschlichung eines nichtmenschlichen Bereichs)  ist somit ein weiteres typisches und wesentliches Merkmal der Fabel.  Für die Fabel heißt das, nur das für den Menschen Typische wird auf die Tiere übertragen, und zwar so, dass die tierischen Eigenschaften entweder überformt werden oder dass neue menschliche Eigenarten hinzutreten.
 
 



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